W. Hameter u.a. (Hrsg.): Freund Hein?

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Titel
Freund Hein?. Tod und Ritual in der Geschichte


Herausgeber
Hameter, Wolfgang; Niederkorn-Bruck, Meta; Scheutz, Martin
Reihe
Querschnitte 22
Erschienen
Innsbruck 2007: StudienVerlag
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Luginbühl, Seminar für Allgemeine und Schweizerische Zeitgeschichte, Universität Freiburg i. Ü.

Wir sterben zu Beginn des 21. Jahrhunderts hochbetagt und einsam; der Tod wird nicht tabuisiert, aber doch sehr wirksam verdrängt durch die Auslagerung der Sterbebegleitung an Institutionen des «Gesundheitssystems» – so Katharina Heimerl in ihrem abschliessenden Beitrag zum vorliegenden Sammelband. Wenn der Tod auch nicht abgeschafft werden kann, so lässt sich zumindest das Sterben durch die Abgabe stark beruhigender Medikamente gleichsam «verschlafen» (285); der schnelle Tod – das mittelalterliche Schreckgespenst – ist weitgehend zum Ideal des «guten Sterbens» geworden.

Wie sich nicht nur Vorstellungen vom «guten Sterben», sondern auch Todes- und Jenseitsvorstellungen und die den Tod begleitenden Rituale historisch gewandelt haben, welche Kontinuitäten sich indes auch ausmachen lassen, zeigen die insgesamt 14 Beiträge des Sammelbands. Auf kulturhistorische Überblicke zu Tod und Ritual in Altertum, Mittelalter und Neuzeit folgen vertiefende Beiträge etwa zu Bestattungsformen oder Stiftungen. Mehrere Beiträge nähern sich der Thematik Tod und Ritual schliesslich aus der Perspektive verschiedener Disziplinen (Germanistik, Musikwissenschaft, Kunstgeschichte) an. Eine eigentliche Synthese bleibt ohne Schaden für den Gesamteindruck aus, auch die kurze Einleitung der Herausgeber verzichtet auf eine eigentliche Einführung in die Thematik und stimmt den Leser vielmehr mit Totentanzmotiven und begriffsgeschichtlichen Bemerkungen zum titelgebenden «Freund Hein» auf die Lektüre ein.

Der Reiz des Bandes besteht in der Beleuchtung unterschiedlicher Aspekte wie beispielsweise der (gedächtnis-)politischen Funktion der mit dem Tod verbundenen Rituale aus verschiedenen Blickwinkeln und in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. In den von Wolfgang Hameter beschriebenen römischen Leichenzügen laufen «imagines» mit, Personen, die Wachsmasken berühmter Familienmitglieder tragen und diese damit wieder zum Leben erwecken und im Gedächtnis der Mitbürger verankern sollen. Die etruskische Oberschicht setzte dauerhafte Zeichen mittels weithin sichtbarer Grabhügel (Petra Amann), die ägyptische mittels bereits lange vor dem Tod gebauter Grabanlagen (Bernhard Palme). Die aufwendige Mumifizierung, welche bis zu 70 Tage in Anspruch nehmen konnte, diente der Erhaltung des Körpers für den Zeitpunkt der Auferstehung, die nach ägyptischer Vorstellung mit Seele und Leib erfolgte. In der Neuzeit bildeten die mit demonstrativem Aufwand gestalteten Begräbnisfeierlichkeiten einen wichtigen Bestandteil der adeligen Erinnerungs- und Repräsentationskultur und wurden auch beispielhaft für die Begräbnisse des aufstrebenden Bürgertums (Martin Scheutz). Ständische Differenzen zeigten sich auch in der Trauermusik, wie Stefan Gasch hervorhebt: Während die Pietät bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts eine einstimmige Gestaltung der Messe zum Gedenken eines toten Menschen gebot, entwickelte sich im höfischen Umfeld eine Tendenz hin zu mehrstimmig gestalteten Totenmessen – Polyphonie als Zeichen besonderer Pracht. Auf der anderen Seite des Spektrums finden sich die Widerstände gegen die Beerdigung von Selbstmördern auf dem Kirchhof (Stefan Schima) oder die Praxis der Nationalsozialisten, die Leichen ihrer Opfer zu verbrennen und damit auch möglichst aus dem Gedächtnis zu löschen - ein «Tod ohne Ritual» (Bertrand Perz).

Dieser Streifzug könnte mit einem anderen Fokus wiederholt werden. Die hier nicht allesamt erwähnten Beiträge bilden eine vielschichtige Sammlung von Annäherungen an die Kulturgeschichte des Todes und den mit diesem verbundenen Vorstellungen und Ritualen.

Zitierweise:
David Luginbühl: Rezension zu: Wolfgang Hameter/Meta Niederkorn-Bruck/Martin Scheutz (Hg.), Freund Hein? Tod und Ritual in der Geschichte (=Querschnitte, Bd. 22), Innsbruck/Wien/Bozen, StudienVerlag, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 337.

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